Kurzkrimi "Jauchzet, frohlocket..."

hier finden Sie den vollständigen Kurzkrimi "Jauchzet, frohlocket.." von Andrea Revers

„Erna, der Baum brennt.“ Mühsam hievte sich Herbert aus seinem Sessel und musterte die kleine Rauchfahne, die sich oberhalb einer roten Kerze entwickelte. „Ja, ich weiß, dass du die echten Kerzen nicht magst, aber ich finde es nun mal schön“, tönte es aus der Küche. Lautstark werkelte Erna hinter der Küchentür. „Nun komm doch mal“, röhrte Herbert und musterte leicht schwankend die weihnachtliche Atmosphäre: ausgepackte Geschenke, Geschenkpapier in rauen Mengen, Kerzen, Gläser mit Weihnachtspunsch. 

Inmitten der Reste der Geschenkorgie stand der glimmenden Christbaum, liebevoll geschmückt mit güldenen Kugeln und kleinen selbst gebastelten Papierengeln. Inzwischen konnte er kleine Flammen in den Zweigen entdecken. „Muss ich den alles selbst machen. Kümmere dich gefälligst drum. Ich mache schließlich das Essen. Die Gans riecht schon leicht angebrannt,“ quengelte es aus der Küche. Von Erna war anscheinend keine Hilfe zu erwarten.

Herbert riss sich zusammen. Er brauchte etwas Flüssiges. Kurz entschlossen nahm er den gut gefüllten Cognac-Schwenker mit Remy Martin, den ihm dankenswerterweise die Schwiegermutter verehrt hatte. Eigentlich beschwerte sich Herberts Schwiegermutter ja immer, dass er zu viel trank, war sich aber nicht zu schade, sein Laster mit regelmäßigen Gaben hochprozentigen Alkohols zu unterstützen. Wahrscheinlich wollte sie, dass er früh ins Gras biss.

Schade um den guten Cognac, aber es war ja für einen guten Zweck. Herbert nahm noch einen herzhaften Schluck und schüttete das halbvolle Glas über die glimmende Zweige. Erstaunlicherweise traf Herbert sogar, wie er mit einem gewissen Stolz registrierte. Zielgenau hatte er den Cognac direkt in das kleine Flammennest gekippt. Allerdings zeigte sich nicht das gewünschte Ergebnis. Im Gegenteil, der Baum flambierte geradezu. Leicht schwankend wich Herbert zurück. Mist! Jetzt brannte der komplette Baum und entwickelte dabei einen durchaus angenehmen Tannenduft. Nordmanntanne! Hatte ein Vermögen gekostet.

Geistesgegenwärtig fischte Herbert schnell den Kaschmirschal von Erna aus der Reichweite der Flammen. Sie würde sich kaputt ärgern, wenn der Löcher hätte.

Die Flammen kletterten inzwischen die Vorhänge hinauf und es wurde langsam unangenehm. Irgendwie lief das jetzt hier aus dem Ruder. „Eeerrnnaaa!“ keuchte Herbert, doch sein Ruf ging in einem Hustenanfall unter. „Herbert, du solltest wirklich weniger rauchen. Wie sich das anhört. Und den Rauchgeruch bekommt man auch nur ganz schlecht aus den Gardinen,“ keifte es aus der Küche. Herbert stöhnte genervt. Erna hatte wirklich keinen Sinn für Prioritäten. Aber wenn es schon brannte, dann doch bitte an den richtigen Stellen.

Mühsam und immer kurzatmiger schob Herbert den Ohrensessel von Opa Heinrich in Richtung Baum. Den hatte er noch nie leiden können! Ein brennender Zweig löste sich aus der Feuerbrunst und fiel auf den Sitz des ungeliebten Sitzmöbels. Gut so! Doch jetzt brauchte Herbert Luft. Er stolperte in Richtung Tür, doch Rauch, Sauerstoffmangel und nicht zuletzt rund 2.8 Promille Alkohol im Blut taten ihr übriges.
Herberts letzter Gedanke galt der Gans. Er hasste Geflügel...

Erst als das Tatütata der Feuerwehr ertönte wischte sich Erna die Hände ab und ging zum Fenster. Aus dem Fenster des anliegenden Wohnzimmers schlugen inzwischen schon die Flammen.
Erna schaltete das Radio ein – „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage...“ tönte es gerade – und entfernte die feuchten Küchentücher, die sie unten an die Küchentür gelegt hatte. Das wäre wohl doch zu auffällig. 
Die Nordmanntanne hatte sie bereits vor 14 Tagen gekauft, den Trick mit dem Haarspray – „damit die Nadeln länger halten“ – hatte sie von ihrer Mutter. So hatte das Schicksal den gewünschten Lauf genommen.

Langsam drang Rauch in die Küche und Ernas Augen begannen zu tränen. Fein! Das wirkte gleich viel überzeugender. Im Radio sangen die Regensburger Domspatzen „Stille Nacht“. Langsam begann Erna, sich Sorgen um ihre Gesundheit zu machen. Da hämmerte endlich eine behelmte Gestalt von außen ans Fenster. „…der Retter ist da!“

 

 

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